Wie ticken unsere Kirchenmitglieder?

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Interessante Aspekte für Kirchenvorsteher aus der 5. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKDIm März 2014 erschien die inzwischen 5. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD unter dem Titel „Engagement und Indifferenz“: Dabei wurden 3027 Menschen befragt, darunter auch ca. 565 Personen, die mal evangelisch waren und 446 Konfessionslose, die noch nie konfessionell gebunden waren. Etwa 2/3 der Befragten leben in Westdeutschland, 1/3 in Ostdeutschland.

Mitglieder als Akteure religiöser Kommunikation
Neu war bei der 5. Untersuchung der Blickwinkel: Die Befragten werden nicht zuerst als Konsumenten institutioneller Angebote betrachtet, sondern als Akteure religiöser Kommunikation: Die Untersuchung bringt daher sehr interessante Erkenntnisse, wie Menschen über Religion und Sinnfragen miteinander reden: Tod, Entstehung der Welt, ethische Fragen am Lebensanfang und Lebensende, Fragen zum Sinn des Lebens werden von den Befragten als religiöse Themen betrachtet.
Kommunikation über Religion passiert vor allem im privaten Bereich mit dem Ehepartner, in der Familie, mit engen Freunden. Kirchliche Vertreter spielen in der Befragung im Blick auf diese Kommunikation gegenüber dem nächsten Umfeld eine nachgeordnete Rolle. Eine Mehrheit der Befragten (75,6%) gibt an, religiös nicht auf der Suche zu sein. Internetbasierte neue Medien spielen erstaunlich geringe Rolle bei religiöser Kommunikation. (Das mag ganz anders sein, wenn man auf die Schnelle elementare Informationen wie Kontaktdaten im Blick auf Kirche / Gemeinde sucht.)  Religiöse Kommunikation ist vor allem die Kommunikation von Mensch zu Mensch, die sehr oft in privaten Räumen stattfindet und daher als intim empfunden wird.

Polarisierung nimmt zu – die Mitte bricht weg!
Erfreulich ist, dass der Anteil der Evangelischen, die sich „sehr“ oder „ziemlich verbunden“ fühlen, gestiegen ist: Ca. 13% der Mitglieder leben eine „intensive Mitgliedschaftspraxis“, die mit folgenden Merkmalen verbunden ist: Intensiver GD-Besuch (1x im Monat oder öfter), persönlicher Kontakt zum Pfarrer im Laufe des letzten Jahres, aktive Beteiligung am kirchlichen Leben. Dieses Muster kirchlicher Bindung ist von anderen Bindungsmustern grundsätzlich unterschieden. Die Zahl derer, die bewusst und engagiert evangelisch sind, ist leicht gestiegen.
Gleichzeit ist auch am anderen Ende ein Steigerung feststellbar: Die Zahl derer, denen Kirche gleichgültig ist – mit dem Stichwort „Indifferenz“ beschrieben -  nimmt zu. Bei diesen Menschen, die im Blick auf evangelische Kirche indifferent sind, besteht hohe Austrittswahrscheinlichkeit.
Eine dritte Gruppe von Mitgliedern ist zahlenmäßig am Schrumpfen: die Zahl kirchenkritischer Mitglieder „in Halbdistanz“, die zwar gegenüber der Institution kritisch sind, aber dennoch über einen Austritt nicht nachdenken, wird geringer. In dieser Entwicklung in der KMU bestätigt sich ein Trend, der auch in anderen empirischen Untersuchungen erkennbar ist: Menschen entscheiden zunehmend bewusst, ob sie in der evangelischen Kirche Mitglied sein wollen oder nicht. Eine Mitgliedschaft aus Tradition, aber ohne persönlichen Zugang zu Inhalten und Positionen von Kirche verliert an Bedeutung.

Alarmierende Abnahme religiöser Sozialisation – Kirche bald ohne Jugend?
Eine Zahl der 5. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung ist alarmierend: Während bei den über 60-Jährigen ca. 83% von sich sagen, sie seien religiös erzogen worden, geben von den unter 30-Jährigen nur noch ca. 55% an, sie seien religiös sozialisiert. Dementsprechend befürwortet nur knapp die Hälfte der unter 30-Jährigen eigene Kinder religiös zu erziehen. Wenn bei der religiösen Kommunikation die Strukturen und Werte der Familie einen besondere Rollen spielen, dann stellt diese Entwicklung vor allem einen Frage: Wie kann es gelingen, bei einer deutlich geringer werdenden Bereitschaft der jüngeren Generation, eigene Kinder religiös zu erziehen, den Glauben an die nächste Generation weiter zu geben. Eine allzu massive Einwirkung der Kirche in den Raum der Familien werden Familien sicher nicht wünschen. Eine besondere Bedeutung kommt der Frage zu,  wie evangelische Kirche sich so entwickelt, dass sie für Familien und ihre Lebenswelten relevant ist. Zugespitzt geht es um die Frage: „Welche Kirche brauchen junge Familien?“ und nicht um die Frage: „Wie kann Kirche Familien ihre Angebote vermitteln?“ „  
Zwar waren die Einschätzungen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Blick auf evangelische Kirche auch in den vorausgegangenen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen überdurchschnittlich kritisch. Nun ist allerdings eine deutlich steigende Distanz zur evangelischen Kirche in dieser Altersgruppe festzustellen: Der Anteil der kaum oder nicht Verbundenen liegt bei den 14-21-Jährigen jetzt bei 44%, 2002 lag er noch bei 23%. Bei dieser Gruppe ist auch die höchste Austrittsbereitschaft vorhanden: Über 20% sind sich relativ sicher, aus der Kirche auszutreten. Dahinter steht ein Entfremdungsprozess: Wenn christliche Sozialisation abbricht, entsteht ein Defizit an religiösem Wissen, an religiöser Praxis und Erfahrung, ganz im Sinne von „Was ich nicht kenne und erlebt habe, hat auch keine Bedeutung für mein Leben.“ Diese Defizite führen dann letztlich zu einem Bedeutungsverlust von Religion, der in der Untersuchung mit dem Stichwort „Indifferenz“ beschrieben ist.
Die Frage, ob es gelingt, den Glauben an nachfolgende Generationen weiter zu geben, ist im Blick auf die Kirchenentwicklung unserer Volkskirche eine vordringliche Aufgabe, die auch bei Prioritäten- und Posterioritätensetzung vor Ort und in der Region berücksichtigt sein will.

Wie Mitglieder Pfarrerinnen und Pfarrer sehen
Nach wie vor ist in Mitgliederperspektive die Person und Rolle des Pfarrers besonders wichtig. Auch wenn die Zahl direkter Sprechkontakte mit dem Pfarrer kontinuierlich abgenommen hat, ist gleichzeitig die Gruppe derer gewachsen, die den Pfarrer namentlich oder vom Sehen kennen, gewachsen. Mehr als 75% der Befragten kennen „ihren“ Pfarrer namentlich oder vom Sehen. 44% der Mitglieder haben persönlichen Kontakt. 28% der Mitglieder kennen Pfarrer außerhalb der eigenen Gemeinde. Das macht schnell nachvollziehbar, dass der Wunsch, parochiale Grenzen bei Kasualien zu überschreiten, an Bedeutung gewinnt. 33% der Mitglieder halten Face-to-face-Kontakt zum Pfarrer für wichtig. Umgekehrt lässt sich sagen: Wenn Mitglieder nicht wissen, wer ihr Pfarrer ist, ist das in der Regel ein sehr deutlicher Ausdruck für große Distanz zur Institution Kirche. Ein Kirchenaustritt ist bei dieser Gruppe, die ihrer Pfarrer nicht kennen, deutlich wahrscheinlicher.
Kontaktflächen, bei denen Mitglieder mit ihrem Pfarrer in Kontakt kommen, sind daher besonders wichtig: Nach wie vor ist der Kontakt bei Kasualien ein sehr intensiver Kontakt, der für die Mitglieder als besonders wichtig erlebt wird. Aber auch  Stadtteilfeste, Einweihungen, Präsenz im Sozialraum, mediale Präsenz des Pfarrers in der Lokalzeitung und im Lokalrundfunk und –fernsehen spielen dabei eine wichtige Rolle, um Mitgliedern Kirche nah zu bringen. Für Menschen mit intensiver Mitgliedschaftspraxis sind auch andere Personen der Kirchengemeinde gut wahrnehmbar: Sie wissen, dass dort meist eine Sekretärin und hauptberufliche Jugendmitarbeiter gibt, dass Kirchenmusiker und Mesner tätig sind.  Für weniger Verbundene Mitglieder ist es aber vor allem die Person des Pfarrers, die mit evangelischer Kirche verbunden wird. Wichtig erscheint daher, dass Pfarrer in ihrem Dienst sich die entsprechenden Freiräume verschaffen können, um schwerpunktmäßig in dieser Kontaktarbeit mit Mitgliedern tätig zu sein (und weniger im Bereich von umfangreicher Verwaltung). 


Kirchenrat Jörg Hammerbacher, Referent für Gemeindeentwicklung im Landeskirchenamt